Donnerstag, der 21.2.2013


Kurzes Frühstück, dann Abfahrt mit einer halben Stunde Verspätung. Die Wetterverhältnisse am Oberbühl sind winterlich, und wenn man den Wetterbericht für Polen und Tschechien anschaut, verheißt der nichts Gutes. Viel Schnee für die kommenden Tage und Temperaturen bis -17°C!

Doch Moritz ist zuversichtlich, denn seine alte E-Klasse hat Standheizung und schliesslich haben wir die 5-Gänge Menüs -rechauffable- der französischen Armee mit an Bord!


Unsere erste Etappe wird die Schneekoppe sein. Mit 1.602 m. üNN der höchste Berg des Riesengebirges. Unser ehrgeiziges Ziel: Operation Gipfelschlag! Es gilt genau die Spitze der Schneekoppe sauber abzutrennen, um sie mit nach Hause zu nehmen und als Grabstein auf Ernas Urnengrab zu setzen. Ein verwegener Plan, wie wir noch feststellen werden.


Wir fahren über Stuttgart und Nürnberg, Plzen und Prag. Moritz übernimmt die ersten 600 km, so dass ich relaxed durch die Landschaften gleite und schon jetzt beginne die Reise zu geniessen. Kurz hinter Prag wechseln wir das Steuer und verlassen die Autobahn. Auf engen und gewundenen Strassen nähern wir uns von Südwesten dem Riesengebirge. Der Schnee nimmt stark zu und binnen kurzer Zeit fahren wir durch so tief verschneite Winterlandschaften, wie ich sie bei uns selten gesehen habe. Es beschleichen uns erste, Zweifel, ob die Operation Gipfelschlag umsetzbar ist, denn es liegt hier bereits über einen Meter Schnee und wir sind bestimmt noch achthundert Höhenmeter unterhalb der Schneekoppe. Die Grenze zwischen Polen und Tschechien verläuft zum Teil auf dem Höhenrücken des Riesengebirges und teilt die Schneekoppe in eine polnische und eine tschechische Hälfte. Um zum Gipfel zu gelangen müssen wir von Tschechien aus über einen Pass fahren, um auf der polnischen Seite wieder ein Stück herunter zu gelangen, bis zu dem Ort Karpacz, von dem es dann zur letzten Anfahrt auf die Schneekoppe geht. Das Thermometer ist mittlerweile auf -9°C gefallen und langsam setzt die Dämmerung ein. Beim Überqueren des einsamen und tief verschneiten Passes im tschechisch-polnischen Grenzland glaube ich plötzlich zu verstehen wie sich Bram Stoker‘s Van Helsing beim Überqueren des Borgo-Passes gefühlt hat...



(Film)


Eine ganze Weile fahren wir staunend durch dieses Wintermärchen bis wir zu dem kleinen Ort Karpacz gelangen. Der Ort sieht freundlich aus, eine Art Wintersportort, mit vielen Sportgeschäften und Touri - Kram und wir sind erleichtert wieder in der Zivilisation zu sein. Die Vorstellung bei hereinbrechender Dunkelheit und meterhohen Schneeverwehungen jetzt noch weiter Richtung Gipfel zu fahren begeistert uns beide nicht. Ich beginne darüber nachzudenken, ob es zwischen den Steinmonolithen des Riesengebirges und meinen Findlingen, die wir im vergangene Jahr an der Quellfassung des Oberbühls gesetzt haben,  bedeutende farbliche Unterschiede gibt.


Da zeigt Moritz auf einen Bachlauf und fordert mich auf anzuhalten. Klasse Idee, wo Wasser ist sind auch Steine! Wir sind jetzt bereits etwas ausserhalb des Ortes und stellen den Wagen am rechten Strassenrand ab. Der kleine Bach ist durch mächtige Mauern in sein Bett gezwungen und von unserer Position aus gibt es keine Möglichkeit herunter zu gelangen. So beschliessen wir ein paar Schritte Bach aufwärts zu laufen um eine unbefestigte Stelle zu finden. Dummerweise habe ich meine Jacke im Auto vergessen. Es geht steil bergauf. Plötzlich finden wir eine vielversprechende Stelle. Selbstverständlich versuche ich als Erster in das Bachbett herunter zu steigen, Erna war ja schliesslich mein Kindermädchen! Moritz sichert  von Oben. Mit dem ersten Schritt breche ich schon bis zum Knie in den Schnee ein, jeder Weitere wird schlimmer. Irgendwann stehe ich mit meinen Sportschuhen mitten im verschneiten Bachbett, dass hier recht steil ist. Mit entsprechender Geschwindigkeit rauscht das Wasser unter dem Schnee und Eis an mir vorbei. Ich versuche an den Steinen zu rütteln und zu wackeln und dabei nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Steine bewegen sich keinen Millimeter! Völlig festgefroren. Ich trete dagegen bis mir der Fuß weh tut, die Steine scheinen wie festgewachsen. Zwei Polen, die auf ihrem Winterspaziergang an uns vorbei kommen schauen fassungslos zu wie ich im leichten Hemd und Sportschuhen im vereisten Bach umherturne und an festgefrorenen Steinen rüttele. Was mögen sie sich denken?


Wahre Größe zeigt sich darin rechtzeitig zu erkennen, wann man mit seinem Plan gescheitert ist. Wir geben auf, sind uns aber völlig sicher, dass wir ehrenvoll unterlegen sind. Stellt sich nur die Frage wie wir das nach Hause kommunizieren. Moritz ruft später Nunze an, er preist die Schönheit der Landschaft, schließlich endet das Gespräch mit dem Vorschlag: wäre es nicht schön im Sommer hier noch einmal gemeinsam herzufahren...! Kuh vom Eis, alles gebont!


Von Karpacz aus sind es ca. 90 km bis Woliborz (Volpersdorf), wo wir uns im „Lesny Dwor“ bei Tomas Hera, der uns schon vor 11 Jahren so nett in der alten Magnis-Försterei aufgenommen hatte, für die nächsten drei Nächte einquartiert haben. Wir fahren durch Wałbrzych (Waldenburg) und das abendliche Świdnica (Schweidnitz). Es fällt uns auf, wie schön diese Stadt ist. Wir kommen an langen Reihen gründerzeitlicher Häuserblocks vorbei, die, zumindest im Licht der Strassenbeleuchtung, saniert erscheinen. Es gibt einen hübschen Marktplatz, und, weil unser Navi irgendwie spinnt, bekommen wir auch  noch die Gelegenheit einer Rundfahrt durch den gepflegten Stadtpark, was andern Autofahrern wohl nicht gestattet ist.


Nach Świdnica nehmen wir Kurs auf Nowa Ruda (Neurode) und kommen schliesslich um halb neun abends, nach 12,5 Std und fast 900 km in der alten Magnis‘schen Forsterverwaltung, dem heutigen „Lesny Dwor“ in Woliborz (Volpersdorf) an. Das mächtige Haus mit den kleinen Fensteröffnungen ist spärlich beleuchtet, und man erkennt nur an dem schmalen, frisch gespurten Weg durch den hohen Schnee Richtung Haustür, dass man uns erwartet. Wir klingeln


Frau Anja, eine junge Helferin aus dem Dorf öffnet die Tür und bittet uns herein. Durch einen dunklen Eingang geht es eine ebenso breite wie steile Treppe hinauf in‘s erste Ober-geschoss. Ein geräumiger Flur, der von einem schönen Kreuzgewölbe überspannt wird, bringt uns in das sogenannte „Cafe“, eine Gaststube mit eigentümlichen Charme und einem gemütlich knisternden Kachelofen. Ausser uns scheint kein Mensch im Haus zu sein.


Frau Anja bittet uns um unsere Ausweisen, und überträgt alle Daten gewissenhaft in eine Kladde. Ich frage mich, ob das wohl je jemand liest? Danach zeigt Sie uns unsere Zimmer. Es geht nochmals eine ebenso steile Treppe hinauf, jetzt stehen wir im obersten Flur. Es öffnet sich eine Zimmertür und Herr Herha, unser Gastgeber kommt in Puschen heraus. An seiner etwas zerzausten Frisur kann ich sehen, dass wir ihn wohl bei einem verspäteten Mittagsschläfchen gestört haben. Er begrüßt uns herzlich und mir fällt auf, dass er sich in den vergangenen 11 Jahren kaum verändert hat.


Bedauernd meint er, dass es auf Grund von Bauarbeiten im Haus z.Zt. Probleme mit der Heizung gäbe und er könnte uns ein warmes Zimmer und ein etwa kälteres anbieten, dass dafür mit elektrischer Zusatzheizung ausgerüstet sei. Fluchs entscheide ich mich für das Wärmere. Das war ein Fehler.

Nach dem wir die Zimmer bezogen und auspackt haben treffen wir uns zum Abendessen im „Cafe“. Frau Anja hat einen vielversprechenden Schweinehalsbraten mit Bratkartoffeln gemacht.  Zum Nachtisch gesellt sich Herr Herha zu uns. Wir berichten aus den vergangenen 11 Jahren. Er ist sehr an Nachrichten von der Familie interessiert. Dann beplanen wir die kommenden 3 Tage. Am morgigen Freitag werden wir uns selbstständig machen und die Grafschaft erkunden. Zwischenzeitlich will Herr Herha mit den Verwaltern in Eckersdorf und Oberhannsdorf und dem Pfarrer von Eckersdorf Kontakt aufnehmen, damit wir am Samstag zusammen mit ihm vielleicht die Chance haben in die Häuser herein zu kommen. 


Noch zwei köstliche polnische Bierchen, dann begeben wir uns nach einem langen Tag zu Bett.

 
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