Samstag, der 23.2.2013
Um Punkt sieben wache ich auf. Es ist wieder eiskalt im Zimmer. Das vertraute Klopfen aus der Heizung lässt auf sich warten, doch es bleibt still. Immer wieder schaue ich auf die Uhr, aber es tut sich nichts. Um kurz vor acht beschliesse ich -trotz Minustemperaturen- aufzustehen, denn wir sind um halb neun zum Frühstück verabredet. Das Badezimmer heize ich provisorisch mit dem Föhn im Dauerbetrieb auf. Als ich das Zimmer verlasse, beginnt es schliesslich in den Heizkörpern zu knacken.
Beim Frühstück preißt Moritz die Vorzüge seiner müffelnden Elektroheizung, großer Neid! Weil er verschlafen hat gesellt sich Herr Herha ein wenig später zu uns und bittet um Entschuldigung. Da das Haus mit einem Stückholzbrenner beheizt wird ist mir jetzt klar, warum ich vorhin vergeblich gewartet habe.
Noch einige Erledigungen im Haus und einen letzten erfolglosen Versuch den Pfarrer in Eckersdorf zu erreichen, dann fahren wir los. Es schneit wie verrückt. In der Nacht sind bestimmt 15 cm Schnee gefallen, und es ist kein Ende in Sicht. Moritz übernimmt das Steuer in bewährter Manier, Herha navigiert vom Beifahrersitz aus und ich geniesse die schöne Winterlandschaft von der Rücksitzbank.
Unser erster Halt ist Schloß Piszkowice (Pischkowitz). Der Ort liegt auf halbem Weg zwischen Bożków (Eckersdorf) und Kłodzkos. Die Ruine thront spektakulär auf einer Anhöhe über dem Dorf und wir fahren mit der guten alten E-Klasse einen schmalen, steilen und ungeräumten Weg hinauf. Es kommt wie es kommen muss, als wir fast oben sind fahren wir uns fest. Herha und ich steigen aus, ruckeln und schieben an Front und Heck, und Dank Moritz Geschick kommt der Wagen plötzlich wieder frei. Jetzt will Moritz es wissen, und wir fahren ganz hoch. Oben entschärft sich die Situation und wir steigen aus. Wir stapfen durch den tiefen Schnee um das Haus, dem man noch heute den Glanz vergangener Zeiten ansieht. Vor dem Gebäude fällt der Hang steil ab, und von einer Terrasse öffnet sich der Blick nach Osten Richtung Kłodzko. Das Schloss, das zuletzt von dem jüdischen Breslauer Bankier Wolfgang von Moriz-Eichborn besessen wurde, hatten die Nazis zu Kriegsbeginn requiriert. Nach dem Krieg wandelte es sich in eine Schule. Seit den 90er Jahren steht es leer. Ein wohlmeinender Mensch hat Türen und Fester im Erdgeschoss vermauert um dem Verfall ein bischen entgegen zu wirken.
Wir setzen unsere Fahrt fort, nächster Stop Bożków (Eckersdorf). Als wir ins Dorf hinunterkommen ist auf der Strasse die Hölle los. Autos und Menschen überall, und wir merken schnell, dass sie alle zu einer Beerdigung gehören, die wohl unmittelbar bevorsteht. Da wir eigentlich mit dem Pfarrer sprechen wollten stellen wir daraufhin unsere Planung um, und versuchen zunächst den Verwalter zu finden. Das ist schwieriger als geglaubt. Wir kurven durch den ganzen Ort und enden schließlich in einer scheußlichen, heruntergekommenen Platte, die nordwestlich des Schlosses neben dem ehemaligen Park liegt. Erst finden wir keine Tür, dann entdecken wir auf der Rückseite einen zugemüllten Eingang. Nach mehrfachem klingeln und einer gefühlten Ewigkeit öffnet ein Mädchen, dass für diese Jahreszeit merkwürdig leicht bekleidet ist. Wir fragen sie nach dem Verwalter und sie antwortet uns unwirsch und noch ausser Atem, dass das Ihr Vater sei. Der sei aber nicht da und auch nicht zu sprechen. Wir bitten sie um seine Handynummer, die will sie uns nicht geben. Ein junger Mann, der hinter einer Gardine hervorlugt zieht den Kopf zurück, als ich ihn bemerke. So brechen wir ab und begeben uns zurück zum Auto. Pech!
Herr Herha schlägt vor nach Jaszkowa Górna (Oberhannsdorf) zu fahren, um nach der Beerdigung zurück zu kehren. Gute Idee, los geht's. Den Weg nach Oberhannsdorf kenne ich nun schon fast auswendig, wir brauchen eine knappe halbe Stunde, dann sind wir da. Der Verwalter erwartet uns schon. Während Moritz und Herha mit dem Auto auf den Hof fahren, laufe ich mit dem polnischen Torwächter durch den Tiefschnee den Hang hinauf. Dafür, dass er an einer Krücke läuft ist er schnell wie ein Wiesel. Ich versuche hinterher zu kommen und dabei Konversation zu treiben. Ich beschwöre gemeinsame, alte Zeiten herauf, immerhin haben wir schon einmal, während eines Besuchs in den 80ern, gemeinsam eine Flasche Vodka geleert, aber vergeblich, er will oder kann mich nicht verstehen.
„das Kleeblatt“
Zum Abschied überreicht mir der Torwächter eine etwas zerkrumpelte Visitenkarte des jetzigen Eigentümers, eine Firma namens „Lapidarium“ aus Warschau, die Antiquitäten verkauft. Ungefragt fügt er hinzu, dass man das Haus, (das noch vor 12 Jahren für 15 tsd € zu haben war) für schlappe 750tsd € erwerben könne. Ich bedanke mich bei Ihm für seine Hilfsbereitschaft und drücke ihm 20 Złoty in die Hand.
Auf dem Rückweg nach Bożków (Eckersdorf) fragt Herha uns ob wir Lust hätten bei einem typisch polnischen Markt vorbei zu schauen. Er führte uns in ein Industriegebiet bei Kłodzko. Auf einem Gewerbegrundstück treffen wir eine große Ansammlung von Menschen. Zwischen heruntergekommenen Industriehallen haben sie ihre Schätze auf dem Boden oder auf der Pritsche von Lieferwagen ausgebreitet. Herha erklärt uns, dass alle diese Gegenstände in Deutschland vom Sperrmüll geholt werden. Unaufbereitet kommen sie hier auf die Märkte und werden für kleines Geld verkauft. Sollte etwas kaputt sein, so kann man es gleich beim Spezialisten vor Ort reparieren lassen. Eine gute Art von Recycling!
Als wir nach Bożków (Eckersdorf) kommen ist die Beerdigung vorbei. Es muss ein prominenter Mitmensch gewesen sein, dem hier die letzte Ehre erwiesen wurde, denn es sind nach wir vor Unmengen von Leuten da und der Friedhof hat sich trotz Schnee in ein Blumenmeer verwandelt. Vor dem Pfarrhaus sind noch einige Passanten, und durch das Tor sehen wir auf dem Innenhof ein altes Männchen, dass den Schnee räumt. Wir fragen ihn nach dem Herrn Pfarrer, er deutet auf die Haustür. Obwohl wir nicht angemeldet sind läuten wir, und die Tür wird geöffnet. Im Flur befinden sich noch ein paar Trauergäste, die die Gelegenheit der offenen Tür nutzen und gehen, als wir eintreten.
Der Herr Pfarrer sieht ein wenig durchgefroren aus. Herr Herha begrüßt ihn mit „Grüß Gott, Herr Pfarrer“, und wird gleich korrigiert: „Oberpfarrer, bitte!“. Wir werden ihm vorgestellt, aber leider scheint der Zug schon vom Gleis gesprungen zu sein, denn er reagiert sehr zurückhaltend auf unseren Wunsch Kirche und Mausoleum zu sehen. Als wir Ihn nach den Bildern von Prof. Walther im Mausoleum fragen, zeigt er sich ahnungslos, er kenne keine Wandbilder im Mausoleum. Wir wollen ihm dann auch nicht länger zur Last fallen, er freut sich bestimmt schon auf eine Tasse heißen Tee. Als wir aus dem Pfarrhaus kommen sehen wir, dass die Kirchentür offen steht, der Liebe Gott meint es gut mit uns!
Wir treten ein und lassen die Kirche auf uns wirken. Ich freue mich, dass Moritz, als alter Segler, von der Segelschiff-Kanzel genauso begeistert ist wie ich. Vor dem Altar steht, mit einem Besen in der Hand, das alte dünne Männchen vom Pfarrhof. Er lacht uns freundlich durch seine trüben Brillengläser an und ich sehe, das er nur noch 2 Zähne im Mund hat, einen oben und einen unten. Wir fragen ihn ob er ein Schlüssel zum Mausoleum hat, er bejaht und öffnet uns die Tür.
Der streng gegliederte Kuppelbau mit dem hellblau/weißen Himmel, den geometrisch angeordneten goldenen Sternen, dem schwarzen Sarkophag und dem schlichten anthrazitfarbenen Fußboden verrät einen starken gestalterischen Willen. Mir fällt auf wie klar und schön das ganze Arrangement ist. Die weiße Büste Anton Alexanders vor dem marmorschwarzen Hintergrund mit den 10 goldenen Ähren beherrscht den Raum. Nun erkenne ich auch, dass die jetzige Farbfassung der Wände, blaue Flächen zwischen den weißen Pilastern, mit Sicherheit falsch ist, denn das Mausoleum soll ja die Schöpfung darstellen, so wie sie ist, oben der Himmel, unter uns die Erde und um uns herum die Welt, und die ist eben nicht himmelblau!
Unser Freund mit dem übersichtlichen Esszimmermobiliar steht plötzlich bei uns und wir fragen ihn, ob er sich daran erinnern könne, dass die Wände des Mausoleums mal übermalt wurden. Er kann sich erinnern und erzählt uns, dass noch zu Zeiten des alten Pfarrers, der seit 2 Jahren im Ruhestand ist, an den Wänden des Mausoleums vier Wandbilder zu sehen waren. Irgendwann wurde dann beschlossen, vielleicht auf Grund des schlechten Zustandes der Bilder, diese zu übermalen. Langsam wird mir klar, was es mit den Bildern auf sich hat. Da die ursprüngliche Fassung des Mausoleum für unsere Familienverhältnisse wahrscheinlich zu freimaurerisch anmutete, dachte sich unser Urgroßvater Wilhelm Magnis, Vater von Onkel Toni und Opapa, er tut Anton Alexander etwas Gutes und lässt die bis dato eher unchristliche Grablege von Prof. Walther mit den o.g. Bildern ausstatten. Da die Bilder, die nachträglich (was eigentlich nicht funktionieren kann) in Skrafitto-Technik in den Putz gemalten wurden, das feuchte Raumklima nicht so gut vertragen haben, alterten sie vorzeitig und wurden übermalt.
Wir fragen unseren Freund ob er denn Photos vom Mausoleum aus dieser Zeit habe, was er leider verneint. Herr Herha schlägt nun vor den Pfarrer zu recherchieren um ihn nach Bildern des Mausoleums zu befragen. Guter Vorschlag. Zum Schluss erkundige ich mich noch nach dem Verbleib von Opapas Grab. Gott sei Dank Entwarnung! Unser guter Freund beruhigt mich, alles noch da, nur unter dem hohen Schnee ist es zur Zeit nicht zu sehen.
Mittlerweile meldet sich bei uns der Hunger und wir beschließen unseren Eckersdorf - Besuch zu beenden. Herr Herha hat sich ein kulinarisches Highlight ausgedacht und führt uns in Nowa Ruda in‘s Dwór Górny, einem eleganten Restaurant in einem frisch renovierten schönen Stadtpalais. Das Restaurant ist menschenleer, und der Gastraum wirkt etwas unterkühlt. Der Blick in die Speisekarte offenbart uns eine Spezialität, die wohl nur hier zu bekommen ist:
„Die Leber des Grafen von Magnis“
Da wir nicht wissen um welchen Grafen Magnis es sich genau handelt beschliessen wir auf einen Versuch vorsichtshalber zu verzichten und wenden uns lieber der traditionellen polnischen Küche zu.
Für den Nachmittag steht der Besuch bei Frau Irena Wlizło in Sarny (Scharfeneck) im angeblichen Magnis-Haus auf dem Pro-gramm. In meinem Handbuch lese ich, dass es dort zwei Schlösser gibt. Das eigentliche Schloß hoch auf dem Fels, das früher einmal Stammsitz der Familie von Reichenbach war, und nach dem böhmischen Aufstand in den Besitz der katholischen Grafen Götzen überging, und das sehr hübsche Sommer-schloss. Nach aussterben des katholischen Stammes v.Götzen wechselte der Besitz dann in die evangelische Linie. Entgegen der Vermutung der heutigen Eigentümerin befand sich das Schloss aber leider nie im Besitz der Grafen Magnis.
Das Haus ist für polnische Verhältnisse in Ordnung, man erkennt noch viel von der alten Glorie. Höhepunkt ist die erschlagende, illusionistische Deckenmalerei im großen Salon. Dargestellt ist ein Barockgarten und die vier Jahreszeiten als allegorische Steinskulpturen.
Draussen ist es schon dunkel und es wird Zeit nach Volpersdorf zurück zu fahren. Als wir vor die Tür treten merken wir, dass es deutlich milder geworden ist, und der Schnee in Schneeregen übergegangen ist. Die „Biala Dama“ und ihr alter Hund stehen in der schwach beleuchteten Tür und schauen uns traurig hinterher.
Auf der Fahrt macht Herr Herha uns den Mund wässrig, indem er berichtet, dass er bei Frau Anja für heute Abend Forellen aus dem Eulengebirge bestellt hat. Als wir auf den Hof fahren, taut es bereits an allen Ecken und Enden. Es ist nicht zu glauben, dass wir heute Morgen noch zweistellige Minustemperaturen hatten. Da wir morgen früh abreisen Richtung Strážnice, packen wir vor dem Abendessen noch unser Zeug, dann treffen wir uns im „Café“. Leider gibt es schlechte Nachrichten. Die Forellenteiche sind noch fest zugefroren, das heißt, Frau Anja verwöhnt uns statt dessen mit Iglu - Schlemmerfiltet à la Bordelaise.
Über zwei Bierchen hinweg unterhalten wir uns noch nach dem Essen, dann treten wir unsere vorerst letzte Nacht in der Magnis-Försterei an. Decken und Jacken kann ich mir sparen, denn für morgen ist Regen angesagt!